
Mein Auslandssemester in Sevilla: Chaos, Tanzen, Entschleunigung und das Meer, aber vor allem herzliche Menschen und eine tolle Sprache.
In der ersten Vorlesungswoche legte ich direkt einen Bauchplatscher hin: Geänderte Vorlesungszeiten, von denen keiner wusste, Wohnung ohne Mietvertrag und natürlich der unverständliche andalusische Akzent. Aber es war auch immer jemand zur Stelle, um mir bei den ersten Schwimmversuchen zu helfen: Das International Office ist ordentlich auf Zack und hält nicht nur Hilfe, sondern immer auch eine Umarmung bereit, die spanischen Mitbewohner erklären, dass sie alle keinen Mietvertrag haben und die Professorin ermutigt mich mit den Worten „wenn du unseren Akzent verstehst, verstehst du Spanisch auf der ganzen Welt“. Das Chaos endete nicht unbedingt nach der ersten Woche, aber es wurde weniger. Oder vielleicht gewöhnte ich mich auch einfach daran. Survival of the fittest – ich passte mich an. Denn die erste Lektion in Spanien war: Sieh mal alles etwas entspannter.
Nachdem ich das Chaos ein wenig verstanden hatte, ging es an meine Leidenschaft: Das Tanzen. Feiern gehen in Sevilla traf genau meinen Geschmack: Reggeaton und Latinorhythmen. Die gleiche Musik lief sogar im Supermarkt. Ich suchte mir außerdem eine Tanzschule und zusätzlich Kurse in einem Club – der Preis und der Spaß waren unschlagbar. Zusätzlich hatte ich eine tanzbegeisterte Mitbewohnerin. Ihr war es egal, ob ich um vier, fünf, sechs oder sieben Uhr morgens nach Hause wollte. Ihre Standardantwort: „Wie, jetzt schon?“. Daher war die zweite Lektion: In Sevilla tanzt man gerne, gut und mit Ausdauer.
Allerdings kam auch der Punkt, an dem es mir zum Tanzen in den Clubs zu heiß wurde. Die große Sommerhitze im Juli und August verpassen wir Austauschstudenten, trotzdem knackten wir schon im März an manchen Tagen die 30-Grad-Marke. Die großen Volksfeste im April, Feria und Semana Santa, erlebte ich bei ähnlichen Temperaturen und Mitte Mai fiel die Temperatur im Schatten kaum mehr unter 30 Grad, über 40 waren keine Seltenheit (Tipp für die Wohnungssuche: Klimaanlage). Das andere Extrem: Im Januar und Februar wurden es nachts gerne mal null Grad – auch im Haus, denn es gab keine Heizung. Zurück zur Hitze: Die Clubs lösen das Problem einfach durch Openair-Parties, sehr empfehlenswert. Die Temperaturen entschleunigen das tägliche Leben ungemein. In einer Minute fährt die Bahn? Egal, die nächste reicht auch noch, denn rennen ist ausgeschlossen. Man muss eigentlich noch etwas erledigen, aber die Bar nebenan hat eigekühltes Bier? Los geht’s, denn konzentrieren kann man sich sowieso nicht. Außerdem hindert einen die beeindruckende Schönheit der Stadt daran, von A nach B zu hetzen. Die kleinen Gässchen, mit „azulejos“ verzierte Häuser und Paläste und der Orangenduft ließen mich trotz der Hitze oft zu Fuß durch die Stadt spazieren, anstatt die nächste Bahn zu nehmen. Die dritte Lektion: Leg das Handy weg und gib Augen, Ohren und Nase eine Chance, diese wunderschöne Stadt zu genießen.
Sevilla hat einen großen Haken: Es liegt nicht am Meer. Wer will kann aber innerhalb von eineinhalb Stunden per Zug (10 - 17 Euro) oder noch schneller mit dem Auto zu wunderschönen Stränden fahren und sich im Atlantik oder im Mittelmeer abkühlen. Ich sprang am 1. April das erste Mal rein und habe nicht gefroren. Wer möchte, kann durch airbnb und blablacar sogar einen sehr günstigen Urlaub direkt am Strand einlegen. Die vierte Lektion: Du bist ein Stunde vom Paradies entfernt, nutze es!
Das wichtigste zum Schluss: Die Menschen und die Sprache. Ich habe mein Leben in Sevilla besonders deshalb so genossen, weil ich von Spaniern mit offenen Armen begrüßt wurde. Damit meine ich insbesondere meine Mitbewohnerinnen. Daher der Tipp: Die ersten Tage ein Hostel buchen und erst vor Ort eine Wohnung suchen, am besten mit Spaniern. Unfreundliche Mitbewohner und überraschende Kakerlaken mag schließlich niemand und die Wohnungssituation in Sevilla ist entspannt. Außerdem habe ich trotz großer Zweifel am Anfang alle meine Kurse auf Spanisch gewählt und es nie bereut. Die Planlosigkeit am Anfang einfach hinnehmen, das Verständnis kommt mit der Gewöhnung an die Sprache und den Akzent ganz von selbst. Außerdem lohnt es sich, im Frühlingssemester nach Sevilla zu gehen, um die wichtigsten Feste (Feria und Semana Santa) zu erleben.
Ich blicke entspannter auf das Leben, habe besondere Menschen ins Herz geschlossen, meine Zukunftsplanung komplett umgekrempelt und spreche plötzlich Spanisch. Der Sprung ins kalte Wasser hat sich gelohnt.
Rieke Schuster
Business Communication Management B.A.
Jahrgang 2015
Und wie kann ein Auslandssemester in den USA aussehen? accadis-Studentin Alicia Tena erläutert es in einem interessanten Erfahrungsbericht.