
Kopf und Rücken gerade, die Arme majestätisch angehoben, die Haare streng nach hinten gekämmt und immer ein Lächeln auf den Lippen – so bewegt sich Media and Creative Industries Management-Studentin Miriam Preiß (MP) in ihrer Freizeit über das Parkett. In sechs-Zentimeter-Absätzen tanzt sie bereits seit vielen Jahren Standard und nimmt erfolgreich an Wettbewerben in ganz Deutschland teil. In einem spannenden Interview erzählt sie von tänzerischen Herausforderungen, den Vorzügen des langsamen Walzers, der Rolle der Tänzerin innerhalb eines Paares – und dass Schuhcreme die Haare weich macht.
Liebe Miriam Preiß, Sie tanzen Standardformation in Ihrer Freizeit, stehen also mit Ihrem Tanzpartner zusammen mit anderen Paaren auf dem Parkett?
MP: Ja, ich tanze sowohl in der Formation, also mit mehreren Paaren, als auch im Einzel.
Wie sieht so eine Standardformation aus?
MP: Eine Gruppe aus sechs bis acht Paaren tanzt eine Choreographie mit einem bestimmten Thema. Bei uns war zuletzt die Bohemian Rapsody die Thematik. Während des Tanzes ist es Aufgabe der Paare, Bilder darzustellen, also beispielsweise eine Reihe aus Tänzern in eine Raute zu verwandeln.
Gibt es im Standardtanz Ligen?
MP: Es gibt eine erste und zweite Liga mit je acht Teams, dazu die Regionalliga Nord/West mit acht Teams und die Regionalliga Süd mit sechs Teams. Im Latein gibt es auch eine Ober- und Landesliga.
Seit wann und wo tanzen Sie?
MP: In 2009 war ich in einer klassischen Tanzschule und seit 2010 bin ich im Rot-Weiß-Club Gießen e. V., wo ich Formation tanze. Paartanz mache ich seit 2012 und bin dafür in 2016 zum TC „Der Frankfurter Kreis“ e. V. gewechselt.
Wie oft findet das Training für die Formation statt?
MP: Für die Formation trainieren wir in der heißen Phase vor Wettkämpfen vier Mal pro Woche, samstags, sonntags, montags und mittwochs. Das ist natürlich von Frankfurt aus mit logistischem Aufwand verbunden. Ich bilde meist mit anderen Tänzerinnen aus Frankfurt und Friedberg eine Fahrgemeinschaft.
Wie kamen Sie zum Standardtanz?
MP: Das war der klassische Weg über den Tanzkurs nach der Konfirmation. Das hat mir gut gefallen und ich wollte „mehr“ machen. Irgendwann musste ich mich zwischen Standard und Latein entscheiden. Mein Favorit sind die Standardtänze, denn sie haben eine ganz eigene Erhabenheit und Eleganz, die Paare schweben über die Tanzfläche und tun so, als wäre das alles ganz leicht.
Was fasziniert Sie am Standardtanz?
MP: Viele Trainer sagen immer wieder: „Doch, doch, das ist eine ganz natürliche Bewegung“ – was man als Tänzer bei vielen Figuren und Tanzschritten erst mal nicht glaubt. Irgendwann macht es dann aber klick und es wird zu einer normalen Bewegung. Das ist sehr faszinierend.
Was ist die größte Herausforderung am Standardtanz?
MP: Als Paar gemeinsam etwas zu erreichen. Für Frauen speziell: Als Tanzpartnerin ist man immer abhängig vom Mann. Mein Trainer sagt oft: „Das ist der einzige Sport, in dem der Mann dominant ist und führt.“ Das heißt aber nicht, dass Frauen im Standard keine Aufgaben hätten. Die Frau muss alles in Einklang bringen. Schwierig wird es, wenn man in der Formation von heute auf morgen einen anderen Tanzpartner hat. Beide sind andere Bewegungen gewöhnt. Hier zusammenzufinden, ist eine große Herausforderung.
Wie kann man sich das Training für die erste Bundesliga vorstellen?
MP: Im Winter ist Formationssaison. Im November ist die Deutsche Meisterschaft, dazu kommen fünf größere Turniere von Januar bis März. Den Rest des Jahres nutzt man für das Training. Momentan haben wir Pause bis Anfang Mai, ab da dann zweimal pro Woche Training. Das sind sonntags vier Stunden und unter der Woche zwei Stunden. Je näher die Turniere kommen, desto intensiver wird das Training. Am Ende sind es zwölf Stunden pro Woche und jedes zweite Wochenende ist Trainingswochenende. Dazu kommt ein dreitägiges Trainingslager. Im Training selbst lernt man neue Choreographien. Zuerst übt man neue Schritte, danach neue Laufwege für Bilder. Je näher das Turnier rückt, desto weiter rückt das Üben der Technik in den Hintergrund und desto wichtiger wird das Bildertraining. Die Harmonie als Paar muss bis dahin sitzen.
Wie lange dauert eine Choreographie und wie ist sie aufgebaut?
MP: Im Einzel dauert ein Tanz ein dreiviertel bis zwei Minuten. Die Formation ist unterteilt in einen Ein- und Ausmarsch sowie einen Wertungsteil. Das sind insgesamt maximal sechs Minuten. Die Musik ist immer so geschnitten, dass die Tänze ineinander übergehen. Es ist ein teures Hobby, für jeden Tanz muss Musik produziert werden. Es ist zudem nicht einfach, durchgängig zu lächeln. Letzte Saison konnten die Punktrichter unsere Gesichter auf den Rückwegen nicht sehen, sodass wir die Gesichtsmuskeln entspannen konnten. Diese Saison waren die Wertungsrichter und das Publikum auch auf der Rückseite. Lächeln kann wirklich anstrengend sein.
Wie laufen die Liga-Wettkämpfe ab?
MP: Die erste Bundesliga wird deutschlandweit ausgerichtet. Diese Saison in Bremen (Deutsche Meisterschaft), Ludwigsburg, Oldenburg, Göttingen, Braunschweig und Nürnberg. Meist richten nur Vereine Turniere aus, die auch eine Formation haben. Manche Städte unterstützen ihre Tanzvereine, so können teilweise große Hallen wie die Sparkassen Arena in Göttingen oder die Volkswagen Halle in Braunschweig zum Austragungsort werden. Wegen des Anfahrtsweges vieler Teams fängt ein Turnier in der Ersten Bundesliga in der Regel nicht vor achtzehn Uhr an. Die Teams beginnen vor Ort mit einer Stellprobensimulation. Jedes Team hat fünfzehn Minuten Zeit, die Ausrichtungspunkte zu suchen, Boden und Halle kennenzulernen. In dieser Viertelstunde schafft man meist zwei Durchgänge in zwölf bis dreizehn Minuten und kann dann nochmal zwei Minuten nach Metern gucken. Die einzigen Hilfsmittel zur Orientierung, die der Ausrichter geben muss, sind ein Mittelkreuz und der Trainerstuhl auf 0:0 am Flächenrand. Den Rest darf der Veranstalter gestalten, zum Beispiel Blumen als Orientierungspunkte stellen. Unser Team übt einmal den Wertungsteil und einmal die komplette Choreographie. Andere Teams machen einen Frauen- und dann einen Männerdurchgang. Das ist individuell. Nach der Stellprobe kommt das „Fertigmachen“. Das kann bei den Tänzerinnen ewig dauern. Diese Saison hatten wir mit dem Schminken und den Frisuren schon vor der Stellprobe angefangen, sonst hätten wir es nicht geschafft.
Wie beginnt ein Turnier?
MP: Turniere beginnen mit einem Durchmarsch und der Vorstellung aller Teams. Besondere Erwähnung finden die Trainer, Captains und die Musik. Die Teams gehen dann in ihre Kabinen. Die Startreihenfolge wird ausgelost.
Wann starten Sie am liebsten?
MP: Entweder ganz früh oder ganz spät. Da ist gefühlt die Aufmerksamkeit der Werter am höchsten. Aber es kommt auch darauf an, wer vor und nach dem eigenen Team startet, ich starte ungern vor oder nach dem Erst- oder Zweitplatzierten der Liga.
Wie geht es dann weiter?
MP: In der Vorrunde werten die Richter und vergeben Kreuze. Die Formationen mit den meisten Kreuzen kommen ins große Finale, die anderen ins kleine. Im großen Finale sind in der Regel fünf Teams, im kleinen drei oder vier zu vier. In der dann folgenden Pause gibt es meist einen Show Act des Ausrichtervereins. Es folgt das kleine Finale und direkt anschließend die Wertung, dann das große Finale mit Wertung. Den Abschluss bildet die Siegerehrung.
Wie bekommen Sie Aufregung vor dem Auftritt in den Griff?
MP: Am Anfang war ich immer sehr aufgeregt. Aber in den ersten Saisons hatte ich einen tollen Trainer, der hat uns emotional immer an der richtigen Stelle abgeholt. Mittlerweile geht es aber. Nur diese Saison war etwas Besonderes, da in der ersten Liga sehr viele Leute zusehen. Ich bin allerdings vor dem Durchmarsch aufgeregter als vor dem eigentlichen Auftritt. Mir hilft es, die Schritte nochmal durchzugehen und mich mit dem Partner warm zu tanzen, von ihm das Feedback zu bekommen, dass wir das gemeinsam schaffen. Das ist das Schöne am Standard: Selbst im Einzel ist man zu zweit.
Welche Tänze tanzen Sie am liebsten und warum?
MP: Schwierig. Am liebsten tanze ich den langsamen Walzer. Mit ihm hat alles angefangen. Der Slow Fox sieht zwar schöner aus, aber darin bin ich nicht so gut. Insgesamt gefallen mir die langsamen Tänze am besten, da ist mehr Fließen, mehr Harmonie. Aber auch der Quick Step ist schön mit den spektakulären Sprüngen – wenn man sich in den hohen Schuhen nichts bricht.
Welche Tänze sind besonders herausfordernd?
MP: Am Slow Fox fordert die Technik am meisten heraus. Man muss es schaffen, eine fließende, gleichbleibende Bewegung ohne Heben und Senken hinzubekommen. Der Wiener Walzer ist wegen seiner primären Rechts-Links-Drehung anspruchsvoll. Wenn da an der Technik etwas nicht stimmt, driftet das Paar auseinander, denn durch die Drehungen kommen die Fliehkräfte dazu.
Wie läuft die Koordination der Tanzpartner ab?
MP: Der Mann führt. Aber er ist auch meistens Schuld, wenn etwas schief geht. Während der Mann die Schritte entscheidet, muss die Frau die Impulse von ihm richtig deuten. Schwierig ist es in der Formation, wo man keinen festen Partner hat. Vor zwei Jahren habe ich fünf Turniere mit drei Partnern auf vier Positionen in der Formation getanzt. In der Formation muss die Frau sehr selbstständig sein, weil der Mann hier meist weniger führt. Der Vorteil ist, dass alle die Choreographie in- und auswendig kennen. Im Einzel muss die Frau sensibler sein, denn manchmal wechselt der Tanzpartner die Schritte, um nicht in andere Paare hineinzulaufen. Man muss immer auf die Impulse aus dem Rippenbogen achten und allgemein auf das Körperzentrum. Der Körper führt die Bewegungen aus, nicht die Arme.
Wie wichtig ist das Outfit der Frauen?
MP: Bei der Formation müssen alle Frauen möglichst gleich aussehen. Wir färben zum Beispiel unsere Haare mit Schuhcreme und Schwarzspray dunkel. Schuhcreme macht die Haare übrigens sehr weich. Belässt man im Team die unterschiedlichen Haarfarben, sehen die Kampfrichter eher, wenn jemand den Kopf nicht wie die anderen dreht.
Was war bisher Ihr größter Erfolg?
MP: Die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft. Wir haben lange gekämpft. Als ich in dem Team angefangen habe, waren wir noch in der Regionalliga. Wider Erwarten durften wir in der Deutschen Meisterschaft die Zwischenrunde tanzen, das war ein tolles Gefühl.
Wie hoch ist die Verletzungsgefahr und was ist eine typische Tänzerverletzung?
MP: Wenn man sich nicht anständig aufwärmt, sind die Bänder gefährdet. Bei bis zu zwölf Stunden pro Woche Tanzen auf sechs-Zentimeter-Absätzen kann man schon mal umknicken. Sind die seitlichen Rückenmuskeln nicht trainiert, kann man sich eine ungünstige Haltung angewöhnen.
Welche Inhalte Ihres Studiums konnten Sie bisher auf Ihr Hobby anwenden?
MP: Diese Saison haben mir die Soft Skills sehr geholfen. Je weiter man kommt in einem Turnier, desto anstrengender wird es auf der menschlichen Ebene. Da ist schon Gesprächskompetenz nötig, um Gefälle in der Einstellung zum Sport zu überwinden. Ich war auch ein Jahr lang Kassenwartin unseres Fördervereins, da haben mir das Steuerrecht und die Vereinsfinanzierung geholfen.
Was sollte man als professioneller Standardtänzer mitbringen?
MP: Leidenschaft, viel Zeit und die Bereitschaft, viel Geld für sein Hobby auszugeben. Neunzig Minuten bei Trainern im Einzel kosten oft achtzig bis hundertfünfzig Euro. Dazu kommen die Mitgliedschaft im Verein, Startmarken und Turniergebühren, Kleider oder Frack, Kosmetik, Schuhe.
Wie hoch ist der gesamte zeitliche Umfang Ihres Hobbies?
MP: Das Training in der Formation kommt auf zwölf Stunden, dazu noch circa acht Stunden Fahrtzeit pro Woche. Im Einzel sind es vier bis sechs Stunden Training in der Woche, abhängig vom Paar.
Soll es beruflich auf Richtung Tanz gehen?
MP: Wenn man gut ist und beispielsweise Trainer wird, kann man viel Geld verdienen, Privatstunden sind wie gesagt teuer. Hauptberuflich möchte ich es aber nicht machen, das reicht finanziell einfach nicht.
Liebe Miriam Preiß, vielen Dank für das Interview.
Foto: (c) Luana Sommer.
Sportlich aktiv ist auch accadis-Student Victor Röther in seiner Freizeit. Er ist Fußballspieler, -trainer und Jugendleiter.